Replik auf die Stellungnahme des deutschen Ethikrat zur Klimagerechtigkeit


Quelle: www.ethikrat.org/mitteilungen/mitteilungen/2024/ethikrat-lasten-im-kampf-gegen-den-klimawandel-gerecht-verteilen

Ethikrat: Lasten im Kampf gegen den Klimawandel gerecht verteilen

Aufgrund der vorstehenden Überlegungen empfiehlt der Deutsche Ethikrat:

1. Herausforderungen und Potenziale der zur Bewältigung des Klimawandels erforderlichen sozial-ökologischen Transformation sollten künftig deutlicher öffentlich, politisch und gesellschaftlich diskutiert werden. Dabei sollten Klimagerechtigkeit und Verantwortung im Vordergrund stehen. Politische Parteien, Zivilgesellschaft, Medien und Wissenschaft sollten Perspektiven für ein gutes, gelingendes Leben in einer nachhaltigen und klimaneutralen Gesellschaft ohne weiteres Wachstum von Konsum und Ressourcenverbrauch erwägen bzw. entwickeln.

Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen, die Sustainable Development Goals (SDGs), lauten:

  1. Keine Armut
  2. Kein Hunger
  3. Gesundheit und Wohlergehen
  4. Hochwertige Bildung
  5. Geschlechtergerechtigkeit
  6. Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen
  7. Bezahlbare und saubere Energie
  8. Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum
  9. Industrie, Innovation und Infrastruktur
  10. Weniger Ungleichheiten
  11. Nachhaltige Städte und Gemeinden
  12. Nachhaltiger Konsum und Produktion
  13. Maßnahmen zum Klimaschutz
  14. Leben unter Wasser
  15. Leben an Land
  16. Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen
  17. Partnerschaften zur Erreichung der Ziele

2. Materielle und immaterielle Kosten für die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen sollten möglichst präzise bestimmt, transparent kommuniziert und sowohl innergesellschaftlich als auch international und intergenerationell gerecht und verantwortungsvoll verteilt werden. Dabei gilt es, sich an Schwellenwerten für wichtige Grundgüter und Befähigungen als Mindestvoraussetzungen für ein gutes, gelingendes Leben zu orientieren. Die Bedürfnisse von Menschen, deren Versorgung bestimmte Schwellenwerte nicht erreicht, sind hier vorrangig zu berücksichtigen.

In kurz: Kosten sollten bestimmt, kommuniziert und gerecht verteilt werden.

Kosten können nicht bestimmt werden, wenn sie in der fernen Zukunft liegen, politischen Schwankungen unterliegen und insbesondere der Staat überhaupt keine Vorstellung davon hat welche Konsequenzen und daraus konkrete Kosten für Betriebe und Privatpersonen entstehen.

Unbekannte Kosten können nicht kommuniziert werden. Daumenschätzungen sind angreifbar und vermindern den Wert den die Kommunikation eigentlich bringen sollte.

Unbekannte Kosten können auch nicht gerecht verteilt werden. Insbesondere da dem Begriff „gerecht“ jede Definition fehlt (eine Hohlheit aus dem Arsenal sozialistischer Kampfbegriffe) und der Begriff ansonsten beliebiger persönlicher Interpretation unterliegt.

3. Klimaschutzmaßnahmen sollten in einem politischen Gesamtkonzept miteinander verzahnt sein, das Änderungen in der Energiewirtschaft, die Förderung emissionsarmer Technik, den Abbau klimaschädlicher Subventionen, emissionsmindernde Regulierungen und entsprechende ökonomische Anreize, vorausschauende Maßnahmen zur Anpassung an die unabwendbaren Folgen des Klimawandels sowie die Entwicklung und Erprobung von Techniken zur CO2-Entfernung aus der Erdatmosphäre enthält. Bei jeder Entscheidung über technische Maßnahmen müssen mögliche, dabei zusätzlich verursachte neue Pfadabhängigkeiten zu Lasten zukünftiger Generationen bedacht werden, beispielsweise wem diesen aufgebürdet wird, auf Dauer eine global funktionierende Wirtschaft zur CO2-Entfernung zu unterhalten.

Eine sehr kritische Haltung zur Technik. Pfadabhängigkeiten sollen bedacht werden. Kein Gedanke an ökonomische Lasten der zukünftigen Generationen. Ein bankrotter Staat oder bankrotte Bürgerschaft würgt zukünftigen Generationen alle Handlungsoptionen ab. Er hilft auch dem Klima in keiner Weise mehr. Übrigens auch keine Berücksichtigung ökologischer Belange; was etwa dem Naturschutz verbundenen Geistern auffallen müsste, aber vermutlich nicht wird.

4. Auf nationaler Ebene muss dafür Sorge getragen werden, dass die mit der Pariser Klimakonvention von Deutschland eingegangenen Verpflichtungen rasch und effektiv erfüllt werden. Dies kann insbesondere durch die Ausweitung und Intensivierung der CO2-Bepreisung auf Produkte und Dienstleistungen geschehen. Dabei ist innergesellschaftliche Gerechtigkeit zu gewährleisten, z. B. durch den ausgleichenden Effekt einer pauschalen Pro-Kopf-Rückvergütung aus der CO2-Bepreisung an alle Einwohnerinnen und Einwohner. Zudem ist dafür Sorge zu tragen, dass attraktive klimafreundliche Alternativen zur Verfügung stehen. Zusätzlich sollten ordnungspolitische Instrumente wie eine überproportionale Bepreisung besonders klimaschädlicher Produkte oder Dienstleistungen in Betracht gezogen werden, um sie auch für finanzstarke Personen unattraktiver zu machen.

Warum sollten Verpflichtungen der Pariser Klimakonvention von Deutschland rasch und effektiv erfüllt werden? Es ist ein trauriger Fakt, dass scheinbar nur die Deutschen ein Gen besitzen, das sie dazu drängt jegliche Vorgabe auf Brüssel, Genf oder New York vor der Zeit erledigt und das Soll übererfüllt haben zu müssen. Leider zeigt die tägliche Praxis, dass hehre Ambitionen meist von der Realität eingeholt werden und selbst einfache Aufgaben nicht zielführend erfüllt werden. Beispiel EU Nitratrichtlinie und die deutsche Umsetzung in eine einzige Maßnahme: eine untaugliche Düngeverordnung (keine Verschärfung hat bislang ein anderes Ergebnis erbracht – siehe Einstein) ein Messnetz das für den Zweck untauglich ist und eine Bürokratie die unfähig ist korrekte Werte zu melden.

Es gibt keinen nachvollziehbaren, logischen Grund für rasche Umsetzung. Eine effektive Umsetzung (realistischer Ziele) wäre durchaus wichtig. Dies scheitert leider an vielfältiger ideologischer Blindheit (Beispiel Atomausstieg).

Bei der „innergesellschaftlichen Gerechtigkeit“ fehlt meiner Meinung nach die Definition bzw. die Unmöglichkeit zu einer irgendwie gearteten konkreten Definition zu kommen. Ähnlich bei den „klimafreundliche Alternativen“. Ein Fahrrad mag klimafreundlich sein. Der Einsatz beschränkt sich auf Strecken von wenigen Kilometern. Bei der eMobilität scheiden sich die Geister.

5. Die gerechte Verteilung der Verantwortung für diese und andere Klimaschutzmaßnahmen ist dabei vornehmlich eine staatliche Aufgabe. Bei deren Erfüllung müssen darüber hinaus auch Unternehmen und andere private kollektive Akteure deutlich stärker in die Pflicht genommen und durch entsprechende Rahmenbedingungen unterstützt werden. Der bislang weit verbreitete Fokus auf die individuelle Verantwortung von Einzelpersonen wird der Problemlage nicht gerecht. Individuelle Entscheidungsfreiheit wird immer auch mitbestimmt durch gemeinsames Handeln vieler und wesentlich von politischen Rahmenbedingungen geprägt. Deshalb sind klare gesetzliche Regelungen notwendig, um Individuen klimafreundliches Handeln zu erleichtern. Es ist unangemessen, wenn staatliche Akteure von Individuen emissionsärmeren Konsum erwarten, solange innerhalb der vom selben Staat gewollten und unterstützten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung die Voraussetzungen dafür zu einem guten Teil nicht erfüllt sind oder sogar konterkariert werden, sodass emissionsärmeres Handeln in vielen Feldern immer noch „moralisches Heldentum“ verlangt. Eine moralische Kritik an Entscheidungen im Bereich der privaten Lebensführung und des Konsums ist kein Ersatz für notwendige politische Maßnahmen.

Die Verteilung der Verantwortung wäre eine staatliche Aufgabe sagen sie und mir fällt dazu nichts ein, außer dass es sich falsch anfühlt. Das Sammeln von Greenwashingpunkten ist und bleibt eine private Angelegenheit. Ob ein Eingriff des Staates hier notwendig ist oder wie und wo das hilfreich sein sollte ist mir nicht klar.

6. Die berechtigte Erwartung an die Politik, effektivere Rahmenbedingungen für den Klimaschutz zu setzen, entbindet Einzelpersonen dennoch nicht von einer individuellen moralischen Mitwirkungspflicht. Jeder Mensch trägt die moralische Verantwortung, dazu beizutragen, dass gesellschaftliche Verpflichtungen erfüllt werden können. Dazu gehört, das persönliche Verhalten, die eigene Lebensweise und das eigene zivilgesellschaftliche Engagement auch unabhängig von regulatorischen Vorgaben mit Blick auf die Herausforderungen des Klimawandels und seiner Bewältigung zu reflektieren und im Rahmen der eigenen Möglichkeiten und Zumutbarkeiten auch entsprechend zu ändern.

7. Die Auseinandersetzung über einen gerechten Umgang mit dem Klimawandel und seinen Folgen muss im Rahmen offener gesellschaftlicher Diskurse erfolgen. Dabei ist auf faire Zugangs- und Beteiligungsmöglichkeiten ebenso zu achten wie auf eine transparente Gegenüberstellung der verschiedenen Informationen, Argumente und Handlungsoptionen. Verbindliche Entscheidungen müssen den dafür vorgesehenen, demokratisch legitimierten Institutionen, insbesondere den Parlamenten, vorbehalten bleiben. Wissenschaftliche Expertengremien und außerparlamentarisches zivilgesellschaftliches Engagement sind in einer freiheitlichen parlamentarischen Demokratie Bestandteile des öffentlichen Diskurses; sie können aber die demokratische Entscheidungsfindung nicht ersetzen. Einer möglichen Destabilisierung der Demokratie ist auf allen Ebenen entgegenzuwirken. Auch individuelles Engagement und Proteste haben sich an demokratische Regeln zu halten.

8. Den Akteuren in Medien und Politik kommt besondere Verantwortung zu, einen konstruktiven, lösungsorientierten Diskurs zum Klimawandel zu ermöglichen und zu führen. Zu einer glaubwürdigen Diskussion über realistische Klimalösungen gehört eine sachliche Berichterstattung, die weder beschönigt noch überzeichnet und in angemessenem Umfang der Breite der in der Gesellschaft und der Wissenschaft vertretenen Positionen Raum bietet. Sachlich kaum fundierten Zweifeln, Ausweichstrategien oder Pseudolösungen sollte nicht zu viel Aufmerksamkeit gewidmet werden. Überzogener Alarmismus ist ebenso zu vermeiden wie die ausschließliche Betonung von Problemen. Mit Blick auf die große Herausforderung einer sozial-ökologischen Transformation sollten auch erwartbare positive Aspekte ausreichend beleuchtet werden.

9. Angesichts der auch in Deutschland bereits jetzt schon erkennbaren und erwartet zunehmenden vielfältigen gesundheitlichen Folgen des Klimawandels trägt der Gesundheitssektor eine besondere Verantwortung, auf diese Herausforderungen zu reagieren und Schutzmaßnahmen umzusetzen. Der Gesetzgeber sollte die Regeln und die Ressourcenverteilung des Gesundheitssystems so ändern, dass bei der Regulierung, Steuerung und Organisation des Gesundheitswesens Fragen der Klimaanpassung besondere Aufmerksamkeit erhalten.

10. Der Klimawandel und seine Folgen können nicht allein auf nationaler Ebene bewältigt werden. Auch und vor allem auf internationaler Ebene muss effektiver gegen die Klimaerwärmung vorgegangen werden. Entscheidungen über eine international gerechte Verteilung der Belastungen durch den Klimawandel und seine Bewältigung erfordern die Stärkung zwischenstaatlicher Verständigung und Zusammenarbeit. Deshalb sollte Deutschland die bisherigen Bemühungen mit hoher Priorität nochmals verstärken, um wirksame globale Abkommen für die Begrenzung der Erwärmung und verbindliche Reduktionsziele zu erreichen, deren Umsetzung seitens der Nationalstaaten garantiert wird. Hierzu müssen diplomatische Möglichkeiten ausgeschöpft und Vereinbarungen innerhalb von Staatenbündnissen wie der EU und den G20, aber auch andere multinationale Abkommen als Zwischenschritte getroffen werden. Besonderes Augenmerk sollte auf Mechanismen zur effektiven Implementierung der beschlossenen Maßnahmen liegen.

11. Die wohlhabenden Industriestaaten müssen die Länder des Globalen Südens darin unterstützen, die notwendigen Investitionen zur Emissionsreduzierung und Anpassung an den Klimawandel zu finanzieren. Die dafür bereits zugesagten Unterstützungszahlungen müssen tatsächlich geleistet, in den Empfängerländern für effiziente Maßnahmen genutzt, durch Technologietransfer und faire Handelsbeziehungen unterstützt und ihre klimaschützende Wirkung von unabhängiger Seite überprüft werden.

12. Es ist damit zu rechnen, dass einzelne Staaten versuchen werden, ihren eigenen Beitrag zum Klimaschutz möglichst lange zurückzuhalten und von den Vorleistungen anderer zu profitieren. Diesem Trittbrettfahrerphänomen ist durch möglichst breite internationale Kooperationen zu begegnen, um die Kosten und Risiken für alle Beteiligten auch dann noch überschaubar zu halten, wenn nicht alle Akteure von Anfang an dazu bereit sind, ihren eigenen Beitrag zu erbringen.

13. Die notwendigen Schritte zur Eindämmung des Klimawandels und zur Anpassung an seine Folgen sind aus Gründen der intergenerationellen Gerechtigkeit so schnell wie möglich zu ergreifen. Angesichts der schwerwiegenden Auswirkungen auf die Lebensgrundlagen jüngerer und zukünftiger Generationen ist ein Abwarten, Hinhalten und Hinauszögern ethisch nicht zu rechtfertigen. Die Perspektiven und Interessen junger Menschen und zukünftiger Generationen sollten in der politischen Willensbildung und Entscheidungsfindung über Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels ein größeres Gewicht erhalten. Entsprechende Instrumente, die die Berücksichtigung dieser Perspektiven und Interessen politisch implementieren und institutionalisieren, müssen entwickelt bzw. weiter ausgebaut werden.

Update 15.3.2024

Sondervotum

Wir teilen die Auffassung des Mehrheitsvotums, dass die Bewältigung des Klimawandels und seiner Folgen zu den großen Menschheitsaufgaben der Gegenwart und Zukunft gehört und dass hierbei grundlegende Gerechtigkeitsfragen zu beantworten sind. Ebenso stimmen wir zu, dass angesichts der Kompetenzen des Deutschen Ethikrats sein Beitrag nur darin liegen kann, eine verlässliche ethische Orientierung für die notwendigen Abwägungsentscheidungen zu liefern. Bedauerlicherweise bleibt jedoch das Mehrheitsvotum in seinen eigenen Ausführungen hinter diesem selbst gesetzten Ziel gleich in mehrfacher Hinsicht zurück. Der in der Stellungnahme skizzierte Ansatz weist einige empfindliche argumentative Probleme und normative Leerstellen auf. Darüber hinaus thematisiert sie zwar Fragen individueller wie kollektiver Verantwortung im Kontext des Klimawandels. Deren Beantwortung stößt allerdings ihrerseits auf Kritik.

I Umgang mit Gerechtigkeitsfragen

Der zentrale Topos der Klimagerechtigkeit bleibt erstaunlich unterbestimmt. Erstens wird nicht erörtert, wie sich die auf „Klimagerechtigkeit“ bezogenen Anstrengungen zu anderen „großen Menschheitsaufgaben“ – etwa dem Kampf gegen Hunger – verhalten bzw. konkret, warum ihnen oberste Priorität zukommt. Nachvollziehbare Kriterien hierfür werden nicht benannt, geschweige denn näher expliziert. Ähnliches gilt für die Frage der Risikobewertung (etwa im Vergleich zur friedlichen Nutzung der Kernkraft), so wie insgesamt Innovationsaspekte nur am Rande auftauchen. Auch das Verhältnis von Mitigation und Adaptation, die sehr unterschiedliche Gerechtigkeitsprobleme aufwerfen, ist unterbelichtet.

Zweitens versucht das Mehrheitsvotum, egalitaristische, suffizientaristische und prioritaristische Überlegungen zu einer „um das Prinzip gerechter demokratischer Teilhabe und Beteiligung zu erweitern(den)“ (Abschnitt 3.4, Absatz 4) „suffizientaristische(n) Schwellenwertkonzeption der Klimagerechtigkeit“ (Abschnitt 3.2, Absatz 7) zu verbinden. Eine über den akademischen Jargon hinausgehende verständliche Erläuterung liefert die Stellungnahme indes nicht. Insbesondere bleibt völlig unklar, wie die für das vorgeschlagene Gerechtigkeitskonzept elementaren verteilungsrelevanten Schwellenwerte für die einzelnen Güter jeweils konkret ermittelt werden sollen. Da die Bedeutung und der praktische (Nutz-)Wert einzelner Güterausstattungen aufgrund der extrem unterschiedlichen Handlungsumstände und Lebensbedingungen in den einzelnen Weltregionen, aber auch bereits im nationalen Raum stark variieren, werden in der jüngeren Gerechtigkeitsdiskussion nicht die Güter als solche, sondern ihr Verhältnis zur Entwicklung bestimmter Fähigkeiten als entscheidend angesehen. Es geht aber nicht nur um die Frage, in welcher semantischen Währung der Verteilungsdiskurs selbst überhaupt zu führen ist, sondern auch um dessen normativen Bezugspunkt. Je nachdem, ob dabei der basale Begriff der ‚Würde‘, die in ihrem Umfang notorisch umstrittenen ‚Menschenrechte‘ oder gar die kulturell bedingten Vorstellungen eines ‚guten Lebens‘ herangezogen werden, ergeben sich jeweils ganz unterschiedliche Verteilungsarrangements. Um die politischen Zielkonflikte in den drei zentralen Bereichen der innergesellschaftlichen, der internationalen und der intergenerationellen Gerechtigkeit angemessen moderieren zu können, bedarf es jenseits der stets gebotenen Sicherung eines Existenzminimums für alle Beteiligten einer wesentlich differenzierteren normativen Kriteriologie, um alternative Handlungsstrategien bewerten und die zeitlich zerdehnten Transformationsprozesse entsprechend gestalten zu können. Da die Stellungnahme selbst einräumt, dass die hier als Bezugsgrößen herangezogenen Theoriemodelle des Egalitarismus, des Suffizientarismus und des Prioritarismus „unterschiedliche, gelegentlich sogar konkurrierende Positionen“ (Abschnitt 3.2, Absatz 1) hinsichtlich der Bestimmung und Akzentuierung der unterschiedliche Aspekte und Dimensionen von Gerechtigkeit vertreten, reicht es nicht aus, einfach nur die verschiedenen Möglichkeiten einer Gewichtung von Gleichheits-, Verursacher-, Nutznießer- und Leistungsfähigkeits-Prinzip zu erwähnen (vgl. Abschnitt 2.7) und dann in Empfehlung Nr. 12 auf die allgemeine freerider-Problematik hinzuweisen, der selbstverständlich alle diese Theoriemodelle ausgesetzt sind.

Eine direkte Folge des Fehlens einer überzeugenden Kriteriologie zur Vornahme begründeter Abwägungsentscheidungen zwischen konkurrierenden Handlungsstrategien besteht drittens im rein appellativen Charakter der Ausführungen insbesondere zur internationalen und intergenerationellen Gerechtigkeit. Die Forderung einer Intensivierung der Anstrengungen zum Abschluss globaler Abkommen für die Begrenzung der Erwärmung ist ebenso allgemein wie wohlfeil, solange überhaupt nicht absehbar ist, dass sich die größten CO2-Emittenten in solche Abkommen einbinden lassen. Dasselbe gilt für den Hinweis, die wohlhabenden Industriestaaten müssten die Länder des Globalen Südens darin „unterstützen, die notwendigen Investitionen zur Emissionsreduzierung und Anpassung an den Klimawandel zu finanzieren“ (Empfehlung Nr. 11). Auch hier wüsste man gerne Konkreteres darüber, wie eine solche Unterstützung angesichts sehr unterschiedlicher nationaler Strategien etwa im Blick auf den auf der letzten Weltklimakonferenz COP 28 eingerichteten Ausgleichsfonds für Schäden und Verluste näherhin aussehen sollte. Auch die Überlegungen um die intergenerationelle Gerechtigkeit erschöpfen sich weitgehend in einigen Hinweisen zur Verbesserung der politischen Repräsentanz jüngerer oder noch nicht geborener Personen, ohne die ethisch relevanten Fragen einer gerechten Verteilung verschiedener Anpassungsmaßnahmen über eine längere Generationenfolge auch nur für einen einzigen Handlungsbereich zu beantworten. Erschwerend hinzu tritt das weitgehende Fehlen kohärenter Strukturüberlegungen, wie die unterschiedlichen gerechtigkeitstheoretischen Ansätze sowie die jeweils betroffenen Rechtsgüter in ein prozedural und materiell überzeugendes Verhältnis gesetzt werden könnten. Abgesehen davon, dass der epistemische Status unterschiedlich weit in die Zukunft ausgreifender klimawissenschaftlicher Prognosen nicht angemessen berücksichtigt wird, fehlen weitergehende Überlegungen zum Verhältnis von wissenschaftlicher und politischer Rationalität. Gänzlich unbeantwortet bleibt ferner die Frage, wie Wahrscheinlichkeitsaspekte das Gewicht bestimmter Gerechtigkeitsüberlegungen beeinflussen können – obwohl dies für die deontische Qualifikation (Zulässigkeit oder Gebotenheit) einer Maßnahme ersichtlich von höchster Wichtigkeit ist. Entsprechendes gilt für die unzureichende Differenzierung hinsichtlich der unterschiedlichen einschlägigen (rechts)normativen Ebenen, beispielsweise das Verhältnis von Völker- und Verfassungsrecht.

Viertens kommt zu kurz, dass die befürwortete Klimaschutzpolitik in sozialer Hinsicht deutlich ungleiche Auswirkungen hat. Stattdessen beantwortet die Stellungnahme Fragen der innergesellschaftlichen Gerechtigkeit aus einer einseitig-elitären Perspektive. Die in Abschnitt 2.3 angeführte Wahlfreiheit im Hinblick auf mehr oder weniger CO2-lastige Lebenspraktiken ist für die meisten Menschen in Deutschland aufgrund ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht gegeben, selbst dann nicht, wenn ihnen finanzielle Hilfen bereitgestellt werden. Denn diese können – um nur ein Beispiel zu nennen – nicht ausgleichen, wenn Menschen aufgrund von Krankheit, Alter oder Wohnlage auf private Pkws angewiesen sind. Es ist schlicht unzureichend, auf erwartbare Unfreiheit und Ungleichheit mit dem bloßen Vorschlag monetärer Kompensation zu reagieren, zumal diese voraussichtlich weder alle Verluste ausgleichen wird noch in ihrer konkreten Verteilungslogik näher bestimmt ist. Darüber hinaus droht mit der umfangreichen CO2-Bepreisung, wie sie in der Empfehlung Nr. 4 angelegt ist, ein besonders eingriffsintensives Instrument zur umfassenden Steuerung und Überwachung privater Lebensführung etabliert zu werden – eine Gefahr, die die Stellungnahme mit keinem Wort erwähnt.

II. Zum Umgang mit Verantwortung

Auch die komplexen Dimensionen individueller wie kollektiver Verantwortung im Zusammenhang mit den durch den Klimawandel induzierten Herausforderungen werden in der Stellungnahme unzureichend behandelt. Dies betrifft erstens die normative Einhegung des Befundes, dass selbst besonders umfangreiche nationale Anstrengungen zur Verbesserung der eigenen CO2-Bilanz einen sehr geringen Einfluss auf den globalen CO2-Ausstoß haben (und zudem mit hoher Wahrscheinlichkeit andernorts [über]kompensiert werden, weil beispielsweise fossile Brennstoffe nicht einfach verschwinden).Eingriffe in die individuelle Freiheit der Bürger lassen sich auf dieser Basis kaum legitimieren; sie sind in Ermangelung einer Eignung zur Erreichung des erklärten Ziels Klimaschutz schlicht nicht verhältnismäßig. Hieran ändert entgegen der Stellungnahme (Abschnitt 4.3.1, Absatz 8) auch die „Dringlichkeit“ des Problems nichts: Zeitdruck macht eine ineffektive Maßnahme nicht zu einer effektiven. Die Hoffnung, Deutsch[1]land könnte durch seine nationale Klimapolitik eine globale Vorreiterrolle einnehmen, die insbesondere jene Staaten zur Nachahmung motiviert, die gegenwärtig massiv zum globalen CO2-Ausstoß beitragen, erweist sich als epistemisch höchst ungewiss und kann daher ihrerseits nicht hinreichen, um massive Eingriffe in die Freiheit der eigenen Bürger zu rechtfertigen.

Der appellative Ton schlägt in einen überschießenden und tendenziell illiberalen Moralismus um, wenn die Stellungnahme einzelnen Bürgern eine moralische Mitwirkungspflicht auferlegt, wonach sie „ihre Interessen an mehr Klimagerechtigkeit in lokalen Initiativen, überregionalen Umweltverbänden oder sozialen Bewegungen bündeln [können und sollen], um im zivilgesellschaftlichen Raum politische Dynamiken für Klimaschutz und sozialökologische Transformationen auszulösen oder zu verstärken“ (Abschnitt 4.3.1, Absatz 2), worauf in Empfehlung Nr. 6 Bezug genommen wird. Angesichts der vielfältigen normativen Leerstellen bleiben hier nicht nur die Konturen der hier für unbedingt unterstützungswert qualifizierten Klimapolitik im Unklaren, es fragt sich auch, weshalb es den mündigen Bürgern nicht selbst überlassen bleiben soll, die Ziele ihres jeweiligen politischen Engagements autonom zu bestimmen. Mit dieser Rhetorik desavouiert die Stellungnahme zudem das von uns ausdrücklich unterstützte Anliegen, dass es über das Anliegen des Klimaschutzes nicht zu einer Erosion oder Infragestellung der demokratischen Institutionen kommen darf.

Steffen Augsberg, Franz-Josef Bormann, Frauke Rostalski

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